Influencer sind keine ganz neue Erscheinung, aber neu genug, um wissenschaftlich noch unerschlossenes Land zu sein. Nymoen und Schmitt versuchen sich an der Erschließung und gehen dabei eher ungewöhnliche Wege. Viele ihrer Betrachtungen basieren auf marxistischer Theorie oder wenigstens marxistischen Kategorien.

Die Erkenntnisse sind wenig überraschend, wenn auch natürlich zutreffend: Kapitalismus funktioniert nur, wenn die kapitalistische Sphäre wachsen kann. Geographisch geht da inzwischen kaum noch was, selbst die hintersten Zipfel der Welt (Nordorea vielleicht ausgenommen) sind bereits geclaimed. Es muss also eine Ausdehnung in neue Lebenssphären erfolgen – Familie, Freundschaft, ingesamt: Das Private. Influencer*innen geben sich als Freund*innen aus und erschließen so die Sphäre des Privaten für ihre Sponsoren, also: das Kapital. Obwohl Influencer*innen formell meist selbständig sind und sogar nach marxistischen Kriterien (sie besitzen die Produktionsmittel selber) sicher keine Arbeiter*innen sind, sind sie letztlich vom Kapital abhängig. Es ist schwer zu entscheiden, wer stärker unter Entfremdung, Ausbeutung und Abhängigkeit leidet: Der*die Influencer*in oder die Follower.

Es ist gut und wichtig, dieses Thema fundiert und mit einer soliden weltanschaulichen Basis zu bearbeiten. Die so gewonnenen Erkenntnisse sind aber im Grunde nicht neu, sie sind nur neu und besser belegt als das, was wir sowieso für offensichtlich halten: Influencer*innentum leistet einer weiteren Verkapitalisierung der Welt vorschub, es entmenschlicht soziale Beziehungen, es erstickt Kreativität, befördert fragwürdige Körperbilder und -ideale und sowieso ein fragwürdiges Geschlechterbild sowie, finally, ganz Blume an unseren Ketten ermuntert es uns, vom Unerreichbaren zu träumen anstatt für eine tatsächlich erreichbare bessere Welt zu kämpfen.

Ein gutes Buch, bei dem wir nach der Lektüre nicht viel mehr wissen als zuvor, das aber mit guter Basis.